Die historische Nutzung als Limonaia war auf S. Sebastiano bereits seit Jahrzehnten aufgegeben worden. Die Anlage stand zudem über Jahre leer und drohte zu verfallen, ein Schicksal, dass sie mit zahlreichen anderen Limonaien teilt.
Nordöstlich von Limone sul Garda, direkt am See gelegen, befindet sich eine der weltweit ältesten Limonaien, S. Sebastiano. Die Anlage geht bis in das 13. Jahrhundert zurück und steht für eine landwirtschaftliche Besonderheit, die in dieser Form nur am Gardasse zu finden ist. Obwohl der nördliche Gardasee schon von den Ausläufern der Alpen erfasst wird, wurden an dieser Stelle dennoch seit Jahrhunderten südländische Zitronen angebaut. Der Grund, aus dem es sie gerade hier gibt, wird den Mönchen aus dem nahegelegenen Franziskaner Kloster in Gargnano zugeschrieben. Sie hatten erstmalig im 13. Jahrhundert die Südfrucht aus Genua zum Gardasee gebracht.
Bei Limone, der wärmsten Region des Sees, fanden sie ein besonderes Mikroklima, das über das gesamte Jahr einen wirtschaftlichen Anbau ermöglichte. Die technisch aufwändigen, steinernen Pflanzmauern mit strenger Südausrichtung sammelten die Sonnenenergie des Tages und strahlten sie zur kälteren Tageszeit wieder ab. Die historische Nutzung als Limonaia war auf S. Sebastiano bereits seit Jahrzehnten aufgegeben worden.
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Die nun vom European Heritage Project erworbene Anlage stand zudem über Jahre leer und drohte zu verfallen, ein Schicksal, dass sie mit zahlreichen anderen Limonaien teilt. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten neue Transportmöglichkeiten den Import von Zitronen günstiger, Zitronenaromen und -essig wurden außerdem häufiger künstlich hergestellt. Diese für die Region spezifische Form der Landwirtschaft verlor zunehmend an Bedeutung, fast alle Limonaien verschwanden.
Ziel des European Heritage Projects ist es die gesamte Anlage als landwirtschaftliche Produktionseinheit zu retten. Insbesondere soll hier exemplarisch eine Limonaia, die den Charakter einer ganzen Region wesentlich mitgeprägt hat, in ihrer traditionellen Form wiederaufgebaut werden. Damit wird der Versuch unternommen eine weltweit einmalige Anbauform wieder zu beleben und in die Jetztzeit zu überführen.
Zunächst stehen jedoch unaufschiebbare Instandhaltungsmaßnahmen, die das Fortschreiten des Verfalls und den Verlust der historischen Substanz verhindern, im Vordergrund, bevor ein Statusbericht, der auch eine historische Bewertung umfasst, erstellt wird.

KAUFSITUATION
Die Anlage stand jahrelang leer. Sie befand sich im Besitz einer mehr als 90 Jahre alten Mailänder Dame, die das Anwesen ursprünglich als Sommersitz genutzt, dann aber seit mehr als 10 Jahren nicht mehr aktiv bewohnt hatte. Lediglich ein Gärtner kümmerte sich in Teilzeit um die Außenanlagen. Nach Kontaktaufnahme durch örtliche Politiker konnte das European Heritage Project das Anwesen 2019 erwerben.
GESCHICHTE
Die Anlage geht nach Mitteilung örtlicher Quellen wohl auf das 15./16. Jahrhundert zurück. Die darauf befindlichen Gebäude datieren jedoch auf einen deutlich späteren Zeitpunkt. Das westliche Wirtschafts- und Wohngebäude deutet jedenfalls in seinen oberen Aufbauten eher in das 19. Jahrhundert. Das zentrale Gebäude ist wohl erst im 20. Jahrhundert im Art-Deco-Stil als Feriengebäude errichtet worden.
Die eigentlichen Produktionsflächen weisen aber in das 16.-18. Jahrhundert, als der Zitronenanbau noch florierte. Wahrscheinlich war die gesamte Fläche nur agrarisch genutzt und wurde vom nahen Limone aus bewirtschaftet.
Im späteren 19. Jahrhundert wurde die Agraraktivitäten wohl auch hier eingestellt und das Grundstück als „Sommerfrische“ genutzt. Dafür sprechen die Anlage eines Naturpools und des Sandstrandes mit Buhnen, sowie die neuzeitlichen Gebäude. Damit einher ging eine Umnutzung der landwirtschaftlichen Flächen. Die Zitronen mussten eher dekorativer Bepflanzung weichen. So finden sich heute neben einigen reminiszenten Zitronensträuchern vor allen Dingen Palmen, Olivenbäume, Feigen, aber auch Orangen, die neben rein floralen Elementen den Garten dominieren.
ARCHITEKTUR
Die gesamte Anlage erstreckt sich über ungefähr drei Hektar mit einer Uferlinie von mehr als 200 Meter Länge. Das Grundstück weist eine exakte Südausrichtung auf, die den Betrieb einer Limonaia überhaupt erst möglich macht. Auf vier bis sieben Terrassen finden sich die steinernen Reflektormauern, die die Sonnenergie aufnehmen und als Wärme über die Nacht wieder abgeben. Hervorzuheben sind die apsidenartigen Einbuchtungen, die eine Bündelung der Sonnenenergie bewirken. Davor stehen immer noch säulenartig die Befestigungspylonen für die historischen Wärmeschutzelemente, die vor allem in der kälteren Jahreszeit den Zitronenpflanzungen Schutz boten. Die Wärmeschutzelemente selbst sind nicht erhalten.
Die Terrassenanlagen erstrecken über mehr als 15.000qm. Sie werden westlich von einem Wirtschafts- und Wohngebäude, wohl aus dem 19. Jahrhundert, erschlossen, mittig befindet sich ein weiteres Wohngebäude im Art Deco Stil, wohl aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Terrassierungen werden über vier parallel laufende Steintreppen verbunden, die direkt auf den See zulaufen.
Die Anlage verfügt über einen eigenen Hafen, sowie ein sogenanntes Naturschwimmbecken, das ein geschütztes Baden im Seewasser ermöglicht. Dem Grundstück seeseitig vorgelagert sind Buhnen, die Sandaufschüttungen vor Abschwemmungen sichern sollen, und dem Anwesen einen eigenen Sandstrand verschaffen. In den Berg sind zahlreiche Kavernen getrieben worden, die historisch vielleicht der Lagerung der geernteten Früchte dienten, zuletzt jedoch nur noch als Winterlager für die betriebseigenen Motorboote genutzt wurden. Das Grundstück wird im Norden durch die Via Reamol geteilt, der historischen Verbindung nach Limone im Süden und Riva im Norden, die heute jedoch nach Inbetriebnahme der Schnellstraße SS45 nur mehr als wenig frequentierter Fahrrad- und Wanderweg genutzt wird.
Insgesamt ist die Anlage wegen ihrer Abgeschlossenheit und Lage sicher eine der bedeutendsten Limonaia am Gardasee.
STRUKTURELLER ZUSTAND ZUR ZEIT DER AKQUISITION
Die Anlage machte zwar einen verlassenen und damit auch verwahrlosten Eindruck, tatsächlich aber waren die Mängel deutlich geringer, als befürchtet. Größtes Manko war, dass die historischen Wärmeschutzanlagen nicht mehr vorhanden waren und nur mehr die Befestigungspylone wie stumme Mahner trost- und nutzlos in den Himmel ragten. Für die Agrarflächen fehlten professionelle Rigationsmöglichkeiten. Alle Sanitäranlagen, Strom und Heizung befanden sich auf einem Vorkriegsniveau.
RESTAURIERUNGSMAßNAHMEN
In Zusammenarbeit mit den Behörden der Bene Culturali (Denkmalschutz) und der zuständigen Sopraintendenza in Brescia erstellt das European Heritage Project zur Zeit einen Piano di Recupero, einen Wiederherstellungsplan zum Betrieb einer Limonaia im historischen Stil. Auf dieser Grundlage werden sowohl die Gebäude, als auch die terrassierten Anbauflächen saniert und aufgebaut. Insbesondere durch die Rekonstruktion der Wärmeschutzanlagen wird der gesamten Anlage ihr historisches Erscheinungsbild zurückgeben.
Im zweiten Schritt wird der landwirtschaftliche Betrieb aufgenommen, d.h. es werden Zitronensträucher angepflanzt und bewirtschaftet werden. Hierbei sollen insbesondere historische Sorten berücksichtigt werden.
Dabei soll auf einen historischen, extensiven Anbau geachtet werden, der durch Nutzung lokaler Resourcen (Wasser, Sonne) nachhaltig und umweltförderlich ist.
In einem dritten Schritt wird die Anlage auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dadurch soll nicht nur eine hohe Akzeptanz, sondern auch eine Unterstützung touristischer Bemühungen der Region durch eine Refokussierung auf historische Stärken erreicht werden.
Ob im Anschluss noch eine Destille zur Erzeugung des berühmten Limoncello aufgebaut werden soll, ist noch nicht entschieden.
AKTUELLE MELDUNGEN
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